Samstag, 14. August 2010

Jeder vierte Österreicher ist gegen den Kapitalismus. Wer macht sich eigentlich Gedanken über die Bedeutung solcher Bekenntnisse?

Im Rahmen einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes IMAS wurden 1021 Österreicher "nach ihrer Einstellung zu teilweise brisanten Problemen" befragt. Die Umfrage trägt den Titel "Politische Bekenntnisse".

Ich finde es immer wieder interessant, solche Umfragen zu lesen. Man bekommt ein besseres Gespür dafür, welche Ansichten in der Bevölkerung vertreten sind. Natürlich sollte man stets die Einschränkungen und Probleme solcher Umfragen bedenken; z.B. die Bedeutung der Art der Fragestellung, oder die Schwierigkeit, eine "Ja-Nein" Antwort auf komplexe Fragestellungen, die nach einer differenzierten Betrachtungsweise verlangen würden, zu geben. Wenn man diese Problemsensibilität voraussetzt, kann die Lektüre solcher Umfragen fallweise erhellend, erheiternd, ernüchternd, erschütternd, ... ausfallen.

Eines der Umfrageergebnisse möchte ich herausgreifen. Die Meinungsforscher interpretieren die Tatsache, dass "nur" 24 Prozent der Umfrageteilnehmer die Frage bejahten, ob der Kapitalismus "abgeschafft und durch ein ganz neues System
ersetzt werden [sollte]", als überwältigende Affirmation des kapitalistischen Systems:

Fest steht indes, dass die Erwartung einer höheren Beitragsleistung von extrem
wohlhabenden Menschen nicht auf neomarxistischen Überlegungen und dem
Wunsch, die Gesellschaft sozial einzuebnen, beruht. Die demoskopischen Gegenbeweise
sind eindeutig.
- 41 Prozent der Österreicher sind überzeugt: „Die freie Marktwirtschaft ist
trotz allem das beste System“;
- nur 24 Prozent sagen: „Der Kapitalismus sollte abgeschafft und durch ein
ganz neues System ersetzt werden“;
- gar nur 21 Prozent meinen, es wäre am besten, wenn alle ein möglichst
gleich hohes Einkommen hätten.


Mir ist - zurückhaltend formuliert - nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass jeder vierte Österreicher die Abschaffung des Kapitalismus begrüßen würde.

Der demokratische, freiheitliche Rechtsstaat ist ebensowenig ohne Schwächen wie die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung. Einiges ließe sich verbessern, oft scheitert es am politischen Willen. Auch in Zeiten der schlimmsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten sollte man sich jedoch immer wieder die großartigen Erfolge der kapitalistischen Produktionsweise - Wohlstand für immer mehr Menschen, Rückgang von Armut etc. - vor Augen führen.

Die logische Konsequenz der Einführung eines ganz neuen Systems kann für mich nur in einem neuerlichen Versuch einer "sozialistischen Gesellschaft" liegen. Wenn ich mir vorstelle, worin all die sozialistischen Projekte in der Geschichte der Menschheit mündeten - wirtschaftlicher Niedergang, Unterdrückung von Minderheiten, Einschränkung individueller Freiheitsrechte, politische Willkür, Verfolgung politischer Gegner etc. - stellen sich mir sämtliche Nackenhaare auf.

Die Unfähigkeit des Sozialismus, für wirtschaftlichen Wohlstand und politische Freiheit des Individuums Sorge zu tragen, ist historisch dokumentiert. Ich kann nur inständig hoffen, dass nicht jeder vierte Österreicher dem Weg in ein neuerliches sozialistisches Fiasko Unterstützung gewährt. Die Annahme, diesmal werde alles anders kommen, weil sich die Vorzüge des Sozialismus entfalten - kein "unmenschlicher Wettbewerb" mehr, Aufhebung gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten etc. -, während die bereits erwähnten Unmenschlichkeiten aufgrund des Lerneffekts aus vergangenen Erfahrungen nicht zur Entfaltung kommen werden, hält der Faktenlage nicht stand.

Hoffentlich ist es einfach nur Enttäuschung und Gedankenlosigkeit, die aus der Bejahung der Frage nach einer Ersetzung des Kapitalismus durch ein anderes System spricht.