Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung werden seit dem Ausbruch der Krise mit besonderer Hochspannung verfolgt. Die Medien bauschen die Vorhersagen einzelner Institute und Experten entweder zu heilbringenden Hoffnungsbotschaften oder zu handfesten Katastrophenmeldungen auf - je nachdem, ob das jüngste Produkt eines Wirtschaftsorakels gerade eine Verbesserung oder Eintrübung der wirtschaftlichen Aussichten behauptet.
Viele Marktteilnehmer reagieren auf derartig hochstilisierte Prognosen äußerst sensibel. Und so gibt es kaum etwas, wovor sich Marktbeobachter mehr fürchten als eine Reihe unvorteilhafter Wirtschaftsprognosen. Man fürchtet sich vor einer spontanen Abwärtsbewegung, die aus der Panik geborene Handlungen nach sich zieht und so eine - neuerliche - Abwärtsspirale auf den Finanzmärkten einleitet.
Die Aussagen von verantwortlichen Politikern und Offiziellen werden nachgerade auf die Goldwaage gelegt. So auch bei Ben Bernankes jüngstem Auftritt vor dem Senate Banking Committee: Weil Bernanke sich in puncto Konjunkturprognose deutlich vorsichtiger äußerte als bei seiner letzten Vorladung im Februar ("the economic outlook remains unusually uncertain"), gaben führende Aktienindizes sogleich vorübergehend nach.
Dabei hatte Bernanke doch eigentlich mit dem Hinweis auf die Unsicherheit der ökonomischen Entwicklung nur das zum Ausdruck gebracht, was seitens seriöser Ökonomen schon im März vergangenen Jahres zu vernehmen war. Damals hatte Bernanke mit seinen Aussagen darüber, dass er "green shoots" - eine Metapher für sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung - erkennen könne, eine hitzige Debatte über den Weg aus der Krise ausgelöst.
Es sind zumeist sehr konkrete Interessen im Spiel, wenn im Rhythmus weniger Tage neue wirtschaftliche Hiobsbotschaften verkündet werden, die sich mitunter offensichtlich widersprechen. Die einen wollen "die Märkte beruhigen". Andere wollen aus den forcierten Nachrichten schlicht ein gutes Geschäft machen; über irgendetwas muss man ja schließlich berichten und schreiben; und je sensationeller die Prognosen gedeutet werden, desto besser ist das für die Auflage - so das Kalkül.
Es ist mithin bei der Interpretation von in den Medien kolportierten Wirtschaftsprognosen Vorsicht geboten. Das sollte eigentlich jedem klar sein; die Reaktionen auf einzelne Prognosen lassen aber darauf schließen, dass dem nicht so ist.
Ein realistischer Blick auf die wirtschaftliche Perspektive ergibt sich bereits, wenn man zwei Märkte, die für die amerikanischen Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind, oberflächlich unter die Lupe nimmt.
In den USA sind im Moment mehr als 14 Million Menschen ohne Arbeit; diese Zahl beinhaltet jedoch noch nicht einmal jene Personen, welche die Suche nach einem Job schlichtweg aufgegeben haben. Die nationale Arbeitslosenrate liegt bei 9,5%. Das momentan in Aussicht gestellte Wirtschaftswachstum von 3 bis 3,5 Prozent - welches die Federal Reserve Bank erst vor wenigen Tagen nach unten revidierte - wird aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um die erhoffte Trendwende am Arbeitsmarkt herbeizuführen.
Auch die weiterhin ungelösten Probleme auf den Häusermärkten - die Preise sind trotz der bereits eingetretenen Preisstürze weiterhin in vielen Bundesstaaten auf einem zu hohen Niveau; das Angebot übersteigt die Nachfrage bei weitem; und nicht zuletzt aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation kann es zu einer neuerlichen Welle an Zwangsversteigerungen (foreclosures) kommen - lassen eine nüchterne Schlussfolgerung hinsichtlich der vor der amerikanischen Wirtschaft liegenden Monate zu: Die Probleme sind, eine sinnvolle wirtschaftspolitische Vorgehensweise vorausgesetzt, mittel- bis langfristig lösbar, aber noch lange nicht ausgestanden; es ist noch ein langer, steiniger Weg zurückzulegen, bis der Großteil der Bevölkerung das Gefühl bekommen wird, dass die Krise ausgestanden ist.