Montag, 18. Oktober 2010

"Fraudclosure" oder: Wie einige Akteure im Finanzsektor aus der Krise exakt nichts gelernt haben

Gegen einige US-Banken wird derzeit aufgrund von Vorwürfen, dass Zwangsvollstreckungen ohne die geforderte rechtliche Bearbeitungssorgfalt durchgeführt worden sein sollen, ermittelt.

Wir erinnern uns zurück: Die Hypothekenfinanzierung lief im Zuge der Blasenbildung auf Amerikas Häusermärkten bis zum Jahr 2006 völlig aus dem Ruder. Viele Hypothekenfinanzierer nahmen in den Jahren, als rücksichtslose Geschäftspraktiken leider gang und gäbe waren, nicht die Bonität der Schuldner als Grundlage für die Gewährung von Hypothekenkrediten. Denn die Kredite wurden sofort an große Wallsteet-Banken weitergegeben, welche diese bündelten und in hoch komplexe Finanzprodukte verpackten („securitization“). Die Hypothekenfinanzierer mussten keine Verluste hinnehmen, wenn die Schulder ihren Hypothekenkredit nicht mehr bedienen konnten. Sie legten ihr Geschäft deshalb auf die Maximierung des Volumens aus. Die Folge der totalen Erosion der angewendeten Kreditstandards war, dass immer mehr Menschen mit höchst fragwürdiger Bonität sich Hypothekenkredite aufbürdeten, die sie niemals zurückzahlen werden können.

Was bislang über die Praktiken der Abwicklung von Zwangsvollstreckungen bekannt ist, erinnert frappant an dieses auf die Maximierung des Volumens ausgerichtete Hypothekengeschäft, welches die enorme Kreditblase anschwellen ließ:

Millions of homes have been seized by banks during the economic crisis through a mass production system of foreclosures that was set up to prioritize one thing over everything else: speed.

With 2 million homes in foreclosure and another 2.3 million seriously delinquent on their mortgages – the biggest logjam of distressed properties the market has ever seen – companies involved in the foreclosure process were paid to move cases quickly through the pipeline.

Law firms competed with one another to file the largest number of foreclosures on behalf of lenders – and were rewarded for their work with bonuses. These and other companies that handled the preparation of documents were paid for volume, so they processed as many as they could en masse, leaving little time to read the paperwork and catch errors. […]

The system was so automated and so inflexible that once a foreclosure process began, homeowners and consumer advocates say, there was often no way to stop it.

Barry Ritholtz argumentiert auf seinem Blog „The Big Picture“ konsequenterweise:

[...] It was a mad rush to do yet another extremely important legal and financial process recklessly: As fast and cheaply as possible.

Es zeigt sich wiederum: Die Hoffnung, dass die Finanzindustrie aus ihren Fehlern und Erfahrungen lernen wird, solange sie nicht die volle Verantwortung ihres Handelns übernehmen muss, entspringt einer großen Naivität. Die Bailouts der Großbanken übertünchten deren katastrophales Risikomanagement; Sanktionen für völlig verfehlte und rücksichtslose Geschäftspraktiken blieben weitgehend aus. Der "fraudclouse"-Fall beweist aufs Neue, dass Systeme, die sich durch verzerrte Anreizstrukturen auszeichnen, über kurz oder lang einen Outcome liefern, der für viele Mitglieder der Gesellschaft – nicht nur für die eigentlichen, oftmals ausgebeuteten Kunden – katastrophal ist.