Freitag, 30. Juli 2010

Die Banken regieren, lang mögen sie leben. Was hat sich eigentlich an den fehlerhaften Marktstrukturen geändert?

Philip Stephens argumentiert in der FT, dass sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise auf den Finanzmärkten nicht viel geändert habe – wenn man einmal davon absieht, dass Risiken und Schulden in ungeheuerlichem Ausmaß vom privaten in den öffentlichen Sektor transferiert wurden.

Führende Politiker haben, so Stephens, vollmundig große strukturelle Reformen angekündigt; diese Vorhaben sind jedoch weitgehend im Sand verlaufen. Heute regiert weiterhin der Markt, d.h. die Dominanz jener Akteure, welche maßgeblich zur Entstehung der Krise beitrugen (Großbanken, Rating-Agenturen etc.), ist ungebrochen, wenn nicht sogar größer als zu Vorkrisenzeiten.

Maßnahmen wie die Einführung einer Bankensteuer sind angesichts der Tatsache, dass Finanzinstitutionen weiterhin ungehindert ihren riskanten, vorübergehend hoch profitablen Geschäftspraktiken nachgehen können, ein Tropfen auf den heißen Stein:

With a little help from the regulators, the big banks can now declare themselves duly stress-tested, but the systemic instabilities remain. International markets have moved far ahead of the capacity of political leaders to understand, let alone properly oversee them. This failure of political governance to keep pace with global economic integration is as apparent now as it was in 2007.

Even if politicians better recognise the risks of interdependence and the vulnerabilities of particular institutions and financial instruments, they are far from any consensus on how to share responsibility for global oversight. So, three years on, things are much as they were – except that most of us are poorer. The markets rule. OK?

Welche Auswirkungen hatten die wirtschaftspolitischen Interventionen in den USA? (2)

Vorgestern wies ich auf eine neue Studie über die Auswirkungen der amerikanischen Wirtschaftspolitik in der Krise hin. Mittlerweile ist ein Link zugänglich, über welchen man das Paper abrufen kann.

via Calculated Risk

Donnerstag, 29. Juli 2010

Banken entschärfen die Richtlinien der Kreditvergabe für Großunternehmen. Nebst einer Anmerkung über Zielkonflikte in der Wirtschaft

"Der Standard" berichtet, dass es für Großunternehmen wieder leichter werde, Kredite aufzunehmen, da Österreichs Banken dazu übergehen, die Anforderungen der Kreditvergabe zu erleichtern.

Im Zuge der Krise hatten die Banken scharfe Kreditrestriktionen eingeführt. In der Folge war es für viele Unternehmen schlicht nicht mehr möglich, sich über Kredite zu refinanzieren bzw. neue Projekte mit Kreditfinanzierung durchzuführen. Die Unternehmensinsolvenzen schossen in die Höhe. Die Arbeitnehmer der von der Kreditklemme betroffenen Unternehmen verloren in vielen Fällen ihren Job. Investitionen wurden auf die lange Bank geschoben oder abgesagt. Kurzum: Eine Volkswirtschaft leidet enorm, wenn eine große Kreditnachfrage seitens der Unternehmen nicht befriedigt wird.

Für die einzelne Bank stellte es sich als rationale betriebswirtschaftliche Entscheidung dar, die Anforderungen der Kreditvergabe als Reaktion auf die Krise drastisch zu verschärfen. Auf makroökonomischer Ebene führte dies jedoch zu gewaltigen Verwerfungen.

Darin zeigt sich einer von vielen Zielkonflikten, die zwischen der Ebene des einzelnen Unternehmens und der aggregierten Ebene bestehen: Was für das einzelne Unternehmen rational erscheint, kann in der Summe der individuell rationalen Entscheidungen für die Volkswirtschaft als Ganzes fatale Konsequenzen haben.

Mittwoch, 28. Juli 2010

Welche Auswirkungen hatten die wirtschaftspolitischen Interventionen in den USA? Über die tatsächlichen Kosten des Moral Hazard

Eine neue Studie über die Auswirkungen der wirtschaftspolitischen Interventionsmaßnahmen während der Finanz- und Wirtschaftskrise sorgt in den USA für Diskussionsstoff. Die Autoren liefern der Obama-Administration eine argumentative Grundlage zur Rechtfertigung der Kriseninterventionen:


In a new paper, the economists argue that without the Wall Street bailout, the bank stress tests, the emergency lending and asset purchases by the Federal Reserve, and the Obama administration’s fiscal stimulus program, the nation’s gross domestic product would be about 6.5 percent lower this year.

In addition, there would be about 8.5 million fewer jobs, on top of the more than 8 million already lost; and the economy would be experiencing deflation, instead of low inflation.


Die Kombination aus dem Konjunkturprogramm und den Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte habe die volkswirtschaftliche Kontraktion deutlich abgemildert. Die budgetären Kosten werden auf 2,35 Billionen Dollar geschätzt:

Mr. Blinder and Mr. Zandi emphasize the sheer size of the fallout from the financial crisis. They estimate the total direct cost of the recession at $1.6 trillion, and the total budgetary cost, after adding in nearly $750 billion in lost revenue from the weaker economy, at $2.35 trillion, or about 16 percent of G.D.P.


Dass die expansive Fiskalpolitik ebenso wie die Bankenrettungspakete dazu beitrugen, die unmittelbare Krisenlage zu beruhigen, ändert natürlich nichts an der Frage, ob es nicht bessere Maßnahmen bzw. die Möglichkeit einer besseren Gestaltung der Maßnahmen gegeben hätte, um der aktuellen Krise entgegenzusteuern und gleichzeitig einer zukünftigen vorzubeugen.

Die Behauptung, dass die Kosten der Untätigkeit größer gewesen wären als die Kosten, die aus der wiederholten, nicht an Bedingungen geknüpften Gewährung von Steuergeld-Milliarden an angeschlagene Finanzinstitutionen, ist jedoch nur dann richtig, wenn man den daraus entstandenen Moral Hazard verschweigt: Die betroffenen Banken und Versicherer haben in der Krise die Erfahrung gemacht, dass der Staat ihnen im Ernstfall aus der Klemme helfen wird, ohne dass dies für die verantwortlichen Personen personelle oder zumindest finanzielle Konsequenzen hätte. Banken wie Goldman Sachs werden weiterhin von den selben Personen geführt, verzeichnen bereits wieder Rekordgewinne und schütten Boni in Vorkrisendimensionen aus.

Machen wir uns nichts vor: Die bedingungslosen Bailouts mögen das Finanzsystem kurzfristig vor dem Kollaps bewahrt haben. Jene, die durch verfehltes Risikomanagement in großem Stil zur Entstehung der Probleme beitrugen, sind jedoch weiterhin am Werk; schlimmer noch: Sie wurden durch die großzügigen Zuwendungen seitens des Staates in ihren rücksichtslosen Geschäftspraktiken bestärkt.

Die Kosten, die aus der Bestärkung exzessiver Risikobereitschaft und der Fortführung destabilisierend wirkender betriebswirtschaftlicher Entscheidungen (z.B. die Ausschüttung von Gewinnen, die zur Stärkung der Kapitalbasis zwecks Krisenprävention zumindest teilweise thesauriert werden sollten) voraussichtlich noch erwachsen werden, sind in die oben erwähnte Studie über die Auswirkungen der wirtschaftspolitischen Kriseninterventionen natürlich nicht eingegangen.

Dienstag, 27. Juli 2010

Wir drehen uns im Kreis. Die Debatte über die Konjunkturprogramme (2)

Die Debatte rund um die Konjunkturprogramme wird in den USA zu keinem Ende kommen, solange die Arbeitslosigkeit ein schwelendes Problem darstellt. Jene, welche die wirtschaftspolitischen Empfehlungen des Keynesianismus vertreten, werden danach trachten, die Forderung, dass die Regierung Konjunkturprogramme zur Schaffung neuer Jobs schnüren müsse, im Diskurs aufrecht bleibt.

Die Gegner keynesianischer Fiskalpolitik wenden gebetsmühlenartig ein, das Versagen von Deficit Spending sei evident, da auch die als Reaktion auf die Wirtschaftskrise beschlossenen Konjunkturprogramme eine Verschlimmerung der wirtschaftlichen Lage nicht verhindern habe können.

Daraufhin entgegen die Befürworter neuer Konjunkturprogramme wiederum, dass die Konjunkturprogramme sehr wohl eine Linderung der Schärfe der Rezession gebracht hätten; alles wäre noch viel schlimmer gekommen, wenn der Staat nicht fiskalpolitisch interveniert hätte. Um einen größeren Konjunktureffekt zu erzielen, seien die Programme jedoch schlicht nicht umfangreich genug gewesen. Die politischen Gegner des Deficit Spending hätten dafür gesorgt, dass das Konjunkturprogramm in den USA um mehr als 500 Milliarden Euro zu klein ausfiel, wie der amerikanische Journalist Ezra Klein schreibt:

“The original stimulus package should've been bigger. Rep. David Obey, chairman of the House Appropriations Committee, says the Treasury Department originally asked for $1.4 trillion. Sen. Kent Conrad, chairman of the Senate Budget Committee, wanted $1.2 trillion. What we got was a shade under $800 billion, and something more like $700 billion when you took out the AMT patch that was jammed into the package. So we knew it was too small then, and the recession it was designed to fight turned out to be larger than we'd predicted.”


Die „Wir müssen sofort die Staatsausgaben kürzen“-Fraktion, deren Position EZB-Präsident Trichet jüngst in einem Op-Ed auf den Punkt brachte (Überschrift: „Stimulate no more, it is now time for all to tighten“), wird sich von diesem Argument wenig beeindruckt zeigen.

Man wird das Gefühl nicht los, dass sich die Debatte im Kreis dreht. Die Positionen sind bezogen, die Fronten haben sich formiert. Wer am wirtschaftspolitischen Schlachtfeld gewinnen wird, bleibt zu abzuwarten. Der Ausgang wird von größter Bedeutung für die globale Wirtschaft sein.

Montag, 26. Juli 2010

Deficit Spending? Die Debatte um die Konjunkturprogramme

Die wirtschaftspolitische Interventionsmethode im Falle einer Rezession besteht laut volkswirtschaftlichen Textbüchern aus einem Absenken der Leitzinsen durch die Zentralbank und der Forcierung staatlicher Ausgabenprogramme, um die schwache private Nachfrage anzukurbeln. Die Wirtschaftspolitiker folgten auf beiden Seiten des Atlantik diesen Empfehlungen im Grundsatz: Sowohl die Federal Reserve Bank als auch die Europäische Zentralbank senkten die Leitzinsen, wobei die Fed den aggressiveren Zugang wählte, d.h. die Leitzinsen schneller und weiter absenkte. Und sowohl in den USA als auch in Europa wurden Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht, bspw. in der Form von öffentlichen Infrastrukturprojekten, der Aufrechterhaltung kommunaler Sozialleistungen, Steuersenkungen, etc.

Die konventionellen geldpolitischen Möglichkeiten sind seit längerem ausgeschöpft: Die Fed hält die Leitzinsen seit Monaten konstant bei 0,25%, die EZB bei 1%. Den Zentralbanken bleibt die Option unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen, wie z.B. das Aufkaufen giftiger Wertpapiere. Darüberhinaus ist in einer Situation, in der die Geldpolitik realen Restriktionen unterliegt, natürlich eine stimulierende Fiskalpolitik gefragt.

Der Effekt der im Zuge der Krise ergriffenen Maßnahmen des Deficit Spending blieb hinter den Erwartungen zurück. Die Arbeitslosigkeit konnte nicht im erhofften Ausmaß eingedämmt werden; der erwünschte Wachstumsimpuls hat sich bislang nicht eingestellt.

Nun gibt es jene Kritiker, die darauf beharren, dass die Konjunkturprogramme inadäquat gewesen seien: Die Programme seien in Umfang und Gestaltung hinter den Anforderungen der kritischen wirtschaftlichen Situation zurückgeblieben. Die Konjunkturprogramme hätten, so die Argumentation, einen größeren Anteil am BIP ausmachen und das Hauptaugenmerk auf solche Ausgaben legen sollen, die einen möglichst großen Multiplikatoreffekt haben. Die Wirtschaftspolitiker seien dazu angehalten, ein weiteres Konjunkturpaket zu schnüren, um der inakzeptablen Situation auf den Arbeitsmärkten entgegenzuwirken. Die Politik dürfe sich mit einer Arbeitslosenrate von 10% nicht abfinden, sondern müsse entschieden handeln.

Diese Sicht der Dinge bleibt nicht unwidersprochen. Die Meinungsgegnerschaft behauptet, dass die enttäuschenden Resultate der Konjunkturprogramme deren prinzipielles Versagen aufzeigten. Es sei unverantwortlich, weitere Konjunkturprogramme zu verlangen, wo doch die Erfahrung zeige, dass Deficit Spending nicht den Weg aus der Krise weisen könne. Es gebe keine „gemütliche Wirtschaftskrise“, wie es ein österreichischer Wirtschaftsjournalist jüngst exemplarisch formulierte. Deshalb müssten die staatlichen Ausgaben sofort drastisch gekürzt werden; die Wirtschaft müsse im Hier und Jetzt "leiden", um gewissermaßen geheilt in die Zukunft schreiten zu können und für neue Wachstumsfurore bereit zu sein: „Je schneller die Nationalstaaten ihre Haushalte in Ordnung bringen, desto stärker und wettbewerbsfähiger werden sie aus der Krise gehen und desto kräftiger wird ihr Aufschwung sein.“

Präsident Obama ist davon überzeugt, dass es richtig war, staatliche Konjunkturprogramme zu schnüren: „There's nothing we would have done differently. Now, the question that some have argued is, 'OK, what's next? Maybe you've stopped the free fall, but you still have close to 10 percent unemployment.' And, you know, this is something we wrestle with constantly.” Das wirtschaftspolitische Team Obamas wirbt dementsprechend für ein zweites Konjunkturprogramm.

In Europa hingegen scheinen die Befürworter sofortiger Ausgabenkürzungen die wirtschaftspolitische Debatte an sich gerissen zu haben: Griechenland, Irland und einige andere staatliche Pleitekandidaten verabschiedeten aufgrund des Drucks der anderen Mitgliedsstaaten sowie internationaler Institutionen wie dem IWF bereits rigorose Sparprogramme. Und das traditionell in entscheidenden wirtschaftspolitischen Fragen den Ton angebende Deutschland leitete ebenfalls bereits eine schmerzhafte Budgetkonsolidierung ein.

Sonntag, 25. Juli 2010

Europas Wachstumsschwäche

Der Wirtschaftsmotor der europäischen Volkswirtschaften will nicht recht in Fahrt kommen. Die für die nächsten Jahre prognostizierten Wachstumsraten für die EU-27 fallen ernüchternd aus. Eurostat stellt für 2010 ein BIP-Wachstum von einem Prozent in Aussicht; 2011 sollen es 1,7 Prozent werden. Das ist unzureichend, um eine Wachstumsdynamik zu entfalten, die ein rasches Wettmachen der krisenbedingten Rückschläge möglich machen würde.

Die europäischen Volkswirtschaften schöpfen ihr Produktionspotential nicht annähernd aus. Bei vollständiger Auslastung der vorhandenen Produktionskapazitäten ließen sich weit höhere Wachstumsraten erzielen. Aktuelle Zahlen zur Kapazitätsauslastung in der verarbeitenden Industrie für die EWU-16 weisen zwar eine langsame Aufwärtsbewegung aus; für das 2. Quartal 2010 ist eine Auslastung von 75,5 Prozent errechnet worden, eine Steigerung gegenüber den beiden vorangegangenen Quartalen. Im Vergleich zu der Auslastung, die vor der Finanz- und Wirtschaftskrise zu verzeichnen war – im Jahr 2008 betrug die Auslastung noch deutlich über 80%, bevor sie im 1. Quartal 2009 stark einbrach – besteht jedoch weiterhin großer Aufholbedarf.

Zwischen möglichem und tatsächlichem Output klafft eine gewaltige Lücke, die sich mit jedem Quartal niedrigen Wachstums noch vergrößert.

Wirtschaftswachstum ist für die Beschäftigungssicherung von zentraler Bedeutung. Solange der EU-Raum nicht auf einen Wachstumspfad zurückkehrt, auf dem das Ouput-Potential besser ausgeschöpft wird, ist eine deutliche Entspannung der Situation auf den Arbeitsmärkten nicht zu erwarten. Laut den aktuellsten bei Eurostat verfügbaren Zahlen betrug die Arbeitslosigkeit für die EU-27 im Mai 2010 9,6 Prozent. Im Falle jahrelanger Wachstumsschwäche besteht die Gefahr, dass sich die Arbeitslosenquote auf konstant hohem Niveau einpendelt.

Freitag, 23. Juli 2010

Bernankes jüngste Wirtschafsprognose. Über die Aussichten der amerikanischen Wirtschaft.

Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung werden seit dem Ausbruch der Krise mit besonderer Hochspannung verfolgt. Die Medien bauschen die Vorhersagen einzelner Institute und Experten entweder zu heilbringenden Hoffnungsbotschaften oder zu handfesten Katastrophenmeldungen auf - je nachdem, ob das jüngste Produkt eines Wirtschaftsorakels gerade eine Verbesserung oder Eintrübung der wirtschaftlichen Aussichten behauptet.

Viele Marktteilnehmer reagieren auf derartig hochstilisierte Prognosen äußerst sensibel. Und so gibt es kaum etwas, wovor sich Marktbeobachter mehr fürchten als eine Reihe unvorteilhafter Wirtschaftsprognosen. Man fürchtet sich vor einer spontanen Abwärtsbewegung, die aus der Panik geborene Handlungen nach sich zieht und so eine - neuerliche - Abwärtsspirale auf den Finanzmärkten einleitet.

Die Aussagen von verantwortlichen Politikern und Offiziellen werden nachgerade auf die Goldwaage gelegt. So auch bei Ben Bernankes jüngstem Auftritt vor dem Senate Banking Committee: Weil Bernanke sich in puncto Konjunkturprognose deutlich vorsichtiger äußerte als bei seiner letzten Vorladung im Februar ("the economic outlook remains unusually uncertain"), gaben führende Aktienindizes sogleich vorübergehend nach.

Dabei hatte Bernanke doch eigentlich mit dem Hinweis auf die Unsicherheit der ökonomischen Entwicklung nur das zum Ausdruck gebracht, was seitens seriöser Ökonomen schon im März vergangenen Jahres zu vernehmen war. Damals hatte Bernanke mit seinen Aussagen darüber, dass er "green shoots" - eine Metapher für sich abzeichnende wirtschaftliche Erholung - erkennen könne, eine hitzige Debatte über den Weg aus der Krise ausgelöst.

Es sind zumeist sehr konkrete Interessen im Spiel, wenn im Rhythmus weniger Tage neue wirtschaftliche Hiobsbotschaften verkündet werden, die sich mitunter offensichtlich widersprechen. Die einen wollen "die Märkte beruhigen". Andere wollen aus den forcierten Nachrichten schlicht ein gutes Geschäft machen; über irgendetwas muss man ja schließlich berichten und schreiben; und je sensationeller die Prognosen gedeutet werden, desto besser ist das für die Auflage - so das Kalkül.

Es ist mithin bei der Interpretation von in den Medien kolportierten Wirtschaftsprognosen Vorsicht geboten. Das sollte eigentlich jedem klar sein; die Reaktionen auf einzelne Prognosen lassen aber darauf schließen, dass dem nicht so ist.

Ein realistischer Blick auf die wirtschaftliche Perspektive ergibt sich bereits, wenn man zwei Märkte, die für die amerikanischen Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung sind, oberflächlich unter die Lupe nimmt.

In den USA sind im Moment mehr als 14 Million Menschen ohne Arbeit; diese Zahl beinhaltet jedoch noch nicht einmal jene Personen, welche die Suche nach einem Job schlichtweg aufgegeben haben. Die nationale Arbeitslosenrate liegt bei 9,5%. Das momentan in Aussicht gestellte Wirtschaftswachstum von 3 bis 3,5 Prozent - welches die Federal Reserve Bank erst vor wenigen Tagen nach unten revidierte - wird aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um die erhoffte Trendwende am Arbeitsmarkt herbeizuführen.

Auch die weiterhin ungelösten Probleme auf den Häusermärkten - die Preise sind trotz der bereits eingetretenen Preisstürze weiterhin in vielen Bundesstaaten auf einem zu hohen Niveau; das Angebot übersteigt die Nachfrage bei weitem; und nicht zuletzt aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation kann es zu einer neuerlichen Welle an Zwangsversteigerungen (foreclosures) kommen - lassen eine nüchterne Schlussfolgerung hinsichtlich der vor der amerikanischen Wirtschaft liegenden Monate zu: Die Probleme sind, eine sinnvolle wirtschaftspolitische Vorgehensweise vorausgesetzt, mittel- bis langfristig lösbar, aber noch lange nicht ausgestanden; es ist noch ein langer, steiniger Weg zurückzulegen, bis der Großteil der Bevölkerung das Gefühl bekommen wird, dass die Krise ausgestanden ist.

Donnerstag, 22. Juli 2010

"No more bailouts"

Die "systemtragenden" amerikanischen Großbanken und Finanzinstitute kamen im Zuge der Finanzkrise in den Genuss großzügiger Rettungspakete. Bank of America, AIG, JPMorgan Chase, Fannie und Freddie, Citibank, und wie sie alle heißen: Der Staat führte in der Summe hunderte Milliarden an Steuergeldern zu, um deren Kapitalbasis aufzubessern. In offiziellen Regierungsstellungnahmen hieß es immer wieder, diese Bailouts dienten der Stabilisierung des Finanzsystems. Und auch im Nachhinein verteidigen die Entscheidungsträger die beispiellosen Staatshilfen damit, dass nur so zu verhindern gewesen sei, dass "systemrelevante Finanzinstitute" Bankrott gehen und eine Kettenreaktion anstoßen, die das gesamte System kollabieren lassen würde.

Die Aufklärung der Hintergründe der politischen Entscheidung, sämtliche Konsequenzen des gescheiterten Risikomanagements der betroffenen Banken auf den Steuerzahler überzuwälzen, ist eine Aufgabe, mit der sich ganze Bücher füllen lassen (vgl. z.B. Sorkin, Andrew: Too Big To Fail). Dasselbe gilt für die Skizzierung der Geschichte der Stützung privater Unternehmen durch den Staat in den USA; hierbei lässt sich ein roter Faden hinsichtlich der schrittweisen Eskalation der Risikoüberwälzung vom privaten auf den öffentlichen Sektor feststellen (vgl. Ritholtz, Barry: Bailout Nation).

Die verantwortlichen Präsidenten Bush und Obama sind für die Gestaltung der wirtschaftspolitischen Krisenintervention heftig kritisiert worden. Besonders die Tatsache, dass jene Banken, welche das Finanzsystem an den Rand des Abgrundes gebracht hatten und vom Staat großzügig aufgefangen wurden, nunmehr wieder munter mit dem Spekulationsspiel weitermachen und neuerlich enorme Mitarbeiterboni ausbezahlen können, ist irritierend.

Obama hat mittlerweile das Gesetz zur Neuregulierung des Finanzsystems unterschrieben. Die Anstrengungen der Finanzlobby haben Früchte getragen: Das Gesetz sieht keine strukturelle Veränderung des Finanzsystems vor; im Zentrum steht vielmehr die Kompetenzausweitung der zuständigen Regulierungsbehörden. Werden jene Regulierungseinrichtungen, die ihre Regulierungsverantwortung im Zuge der Enstehung der Kredit- und Häuserpreisblase sträflich vernachlässigten, ihre Aufgabe in Zukunft zufriedenstellend erfüllen? Zweifel sind angebracht.

Auf ein Versprechen wird man den Präsidenten jedenfalls hinkünftig festnageln können; denn im Zuge der feierlichen Begehung der Gesetzesunterzeichnung versprach Obama: "There will be no more taxpayer-funded bailouts. Period."

Es ist einigermaßen wahrscheinlich, dass Obama bald damit beschäftigt sein wird, zu erklären, warum er von seinem Versprechen eine "Ausnahme" machen muss.

Montag, 5. Juli 2010

Landtagswahlen und Midterm Elections. Über politische Rationalität und anstehende Wahltermine

Die politischen Landschaften Österreichs und der USA unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. In einer Dimension muss jedoch Übereinstimmung konstatiert werden: Da wie dort ist politisches Handeln in erster Linie am nächsten Wahltermin ausgerichtet. Denn Machterhalt ist das bestimmende Moment politischer Rationalität; es zeichnet sich durch Universalität aus.

Hierzulande hat die österreichische Regierung vor wenigen Tagen endgültig den verfassungsrechtlich vorgesehen Budget-Fahrplan über den Haufen geworfen: Finanzminister Josef Pröll wird den Haushalt 2011 erst am 9.Dezember dem Parlament präsentieren. Die Regierung verwehrt sich natürlich gegen die Behauptung, dass die zwei anstehenden Landtagswahlen in der Steiermark und Wien für die Verschiebung ausschlaggebend sind. Wenn man sich vor Augen führt, wie offensichtlich das Handeln politischer Entscheidungsträger allein in der jüngsten Vergangenheit durch anstehende Wahlen bestimmt war – man erinnere sich nur an die Landtagswahlen im Burgenland und den politischen Opportunismus in den Fragen Asyl-Erstaufnahmezentrum und Grenzeinsatz des Bundesheeres -, erscheint diese Behauptung als sehr unglaubwürdig.

Man darf getrost davon ausgehen, dass der verfassungsrechtlich vorgegebene Budget-Fahrplan eine wesentlich bessere Chance auf Einhaltung hätte, wenn im September und Oktober bei Landtagswahlen nicht derartig viel politische Macht auf dem Spiel stünde.

Auch in den USA ist die Diskussion über den Zustand und die Aussichten des öffentlichen Haushalts voll im Gange. Die Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten spielt sich ebenfalls vor dem Hintergrund einer anstehenden Wahl mit großer Bedeutung ab: Anfang November stehen Midterm Elections an, bei denen 36 der 100 Sitze im Senat gewählt werden. Bis dahin werden nicht nur die jeweiligen Kandidaten für einen Senatssitz alles tun, um sich die Gunst der Wähler zu sichern. Auch die Parteien selbst richten ihre politischen Entscheidungen nach dem Zweck der Kandidatenunterstützung für die Midterm Elections aus. Für Präsident Obama, der in Beliebtheitsumfragen seit seinem Amtsantritt massive Vertrauensverluste hinnehmen musste, sind die anstehenden Senatswahlen ein Tag, an dem sich möglicherweise die Weichen für den Rest seiner politischen Karriere stellen.

In den USA vertreten Republikaner und Demokraten – wie in so vielen zentralen politischen Fragen – gegensätzliche Standpunkte: Während erstere eine radikale Sanierung des Staatshaushaltes im Rahmen einer raschen Reduktion der Staatsausgaben fordern, vertritt Präsident Obama die Position, dass die weiterhin schwächelnde Volkswirtschaft durch zusätzliche staatliche Konjunkturmaßnahmen angekurbelt werden müsse, wobei dies über die Aufnahme neuer Schulden zu bewerkstelligen sei. Die langfristigen Budgetaussichten würden sich, so die Argumentation der Demokraten, dadurch nicht verschlechtern, weil die USA a) weiterhin relativ günstig neue Schulden an den Anleihenmärkten aufnehmen können (Anm.: die Anleihenzinssätze für US-Bonds sanken zuletzt; der Zinssatz für Bonds mit einer Laufzeit von zehn Jahren liegt momentan unter drei Prozent), und weil b) das aus dem Deficit Spending resultierende Wirtschaftswachstum ein Mehr an Staatseinnahmen bringen werde, was wiederum die langfristige Budgetsituation verbessere.

Die Demokraten werden nicht müde zu betonen, dass die Diskussion über die Sanierung des öffentlichen Haushaltes nicht auf dem Rücken der Arbeitslosen ausgetragen werden dürfe. In der New York Times ist zu dem Thema Arbeitsmarktsituation zu lesen: „Members of Congress headed for a recess over the weekend having failed to agree on legislation to address the nation’s fragile employment picture, with both parties placing starkly different bets on the political consequences of their positions.”

Und dann heißt es weiter: “After lawmakers return from this week’s Independence Day recess, they will have just a month before they break for the summer. Historically, significant legislation is unlikely to pass in the late summer and early autumn before an election.”